women power
oder
black power
wo stehen wir
wo gehen wir hin
wo wohnen wir
wo bauen wir
was vermessen wir
lass uns dichten
zitierend
oder
ohne zu zitieren
…lasst uns schreiben!
forum: Räumliche, zeitliche wie gedankliche Offenheit eines Ortes für und von gleichberechtigt agierenden Menschen.
adda: ein nicht weiter definierter sozialer Raum des freien Sprechens, Debattierens, Denkens, gar Quatschens unter Freunden, wie es in der bengalischen Kultur – aber es lassen sich weltweit gleichwertige Institutionen finden, von der ostafrikanischen baraza zur französischen Cafékultur, von der lateinamerikanischen tertulia zu den majlis in arabischen Ländern – bekannt und üblich ist.
Die verschiedenen adda, ob sie den Alltag eines von Vertreibung bedrohten squatter settlement in Dhaka oder die Kontroverse über „Entwicklung“ behandeln, bieten Raum für Streitgespräche, Reflexionen und Entwürfe zu Habitat-relevanten Themen und laden zum Mitmachen ein.
>> karail diaries
Seit 2009 dokumentiert HFB Alltagsleben und selbstorganisierte Entwicklungen in Karail Basti, einer spontanen Siedlung im Herzen Dhakas, Bangladeschs Hauptstadt. Dank des ASA-Programms unterstützen seit 2012 auch Teilnehmende aus Deutschland das Vorhaben, indem sie sich drei Monate lang in Dhaka aufhalten und feldforschen. Im Team mit ihren Kolleginnen aus Bangladesch erkunden sie das Gebiet und teilen hier ihre Einblicke und Highlights mit.
11.02.2015 – Unerwartete Annehmlichkeiten und Einschränkungen
Vor etwa drei Monaten begann meine Reise nach Dhaka. Ich war hochmotiviert, in einem fremden kulturellen Kontext Neues zu lernen, hatte aber gleichzeitig auch riesigen Respekt davor, diese Aufgabe anzutreten. Würde ich all die Ideen, die ich weit entfernt an meinem Berliner Schreibtisch ausgearbeitet hatte, in die Praxis umsetzen können? Würden die Bewohner Karails ihre Türen öffnen, wenn eine deutsche Studentin Fragen zu Alltagspraktiken, Einkommen und Lebenssituation stellte?
Letzteres kann ich heute, nach sechs Wochen intensiver Feldforschung vor Ort, klar mit ja beantworten. Abgesehen davon, dass die meisten Türen ständig offen stehen, habe ich aufgehört zu zählen, zu wie vielen Tassen Tee ich während der Befragungen von Haus zu Haus eingeladen wurde. Noch überraschter war ich, dass es keine einzige Person ablehnte, sich von mir fünf Tage lang im Alltag begleiten zu lassen. Sogar Meghla, deren Familie gerade die Wellblechwände ihrer Zimmer durch Ziegelsteine ersetzt und daher alle 2-3 Tage Zimmer wechselt, war eher um mein Wohl besorgt als darüber, dass ich eine Last sein könnte. Auch haben ihre Eltern schnell gemerkt, dass ich dank meiner Größe sehr einfach Lampenfassungen über Dachbalken heben oder trockene Wäsche vom Dach einsammeln kann, ohne dafür auf einen Stuhl klettern zu müssen. Meghla bezeichnete mich bald als ihre große Schwester, da sie es leid war, immer erklären zu müssen, wer die Ausländerin neben ihr ist; Moneja nannte mich schlicht ihren bodyguard, während wir tagtäglich den Weg zu ihrer Arbeitsstelle zu Fuß zurücklegten.
Dennoch gibt es einige Einschränkungen im Forschungsalltag, die ich in Deutschland nicht erfahren würde. Einmal bin ich nach 21:00 Uhr in mein Zimmer in Karail zurückgekehrt und habe dafür besorgte Blicke von meiner Vermieterin geerntet. So wurde mir klar, dass ich die Tanz-Einlagen in Milans Studenten-WG abends um 23:00 Uhr wohl nicht würde miterleben können. Da die Schule aufgrund der angespannten politischen Lage die ganze letzte Woche geschlossen blieb, konnte ich auch mein Vorhaben, die kleine Reshma zur Schule zu begleiten, nicht in die Tat umsetzten. Ständig mit Reis-Malzeiten versorgt zu werden, könnte man als großen Vorteil ansehen, aber es ist immer wieder ein kleiner Kampf, wenn mir 3-4 Mal täglich ein Riesenteller Reis mit Gemüse vorgesetzt wird.
Anfangs habe ich mich noch gewundert, warum es so viele Menschen vorziehen, mittags zu duschen. Doch bald habe ich selbst angefangen, die warme Mittagssonne abzuwarten: Nach dem Aufstehen bei 15° C kalt zu duschen war etwas zu viel! Ich sitze zwar die meiste Zeit in irgendeinem Innenhof und könnte mittlerweile wahrscheinlich ein Kochbuch schreiben, aber das stundenlange Aufmerksam sein, ab und zu Nachfragen und Verarbeiten ist viel anstrengender, als die Haushaltsbefragung vom vorletzten Monat. Abends falle ich immer todmüde auf mein B(r)ett! Jedenfalls brauche ich, um die neuen Erkenntnisse zu verarbeiten und mich auf eine neue Woche vorzubereiten, in sehr regelmäßigen Abständen auch räumlichen Abstand und einen guten Kaffee. So bin ich um unsere Wohnung in Shyamoli dankbar.
Doch sicher ist: Die vielen persönlichen Einschränkungen und die erforderliche Flexibilität, die das Forschen in Karail mit sich bringt, sind durch die riesige Gastfreundschaft, die ich hier Tag für Tag erfahre, mehr als wett gemacht.
Lisa Lampe, ASA-Praktikantin 2014/15
5.02.2015 – Introverted and extroverted field research
An anthropologist could derive very interesting information from living in a basti like Karail, spanned as it is between rural tradition and urban dynamism. She could as well write a wonderful report on the way women and children adapt themselves to spaces that are changing at unexperienced pace, coping with the need for privacy, protection, decentness and the challenge of a congested, thick and dense habitat. Or she could gain insights on the way men state their authority – generally legitimised by their still prevalent role as bread-earners – in their day by day family interactions (well, in fact husbands who quitted their jobs after their wives and/or daughters have got employed in a garment factory, or drudge in wealthy households, seemed to maintain unchallenged authority: a sign of women’s still unfulfilled emancipation, their feeling vulnerable in a public sphere that is thoroughly male-dominated? …or do mothers prefer to leave things as they are for a sense of responsibility towards their children, whom they wish to ensure a “normal” childhood? …how does the social construct “family” ensure its persistence even when the power relationships between husbands and wives are so unfairly distributed?).
However, I am not an anthropologist. And since I start feeling claustrophobic when I stay for too long in the same intérieur – and Karail’s homes are all “too small” –, my object of research necessarily had to be an “extroverted” one. It had to concern the movements, transitions, interactions and exchanges between the organism that the settlement represented and the urban surroundings. It seemed that a membrane separated the two areas, but so tiny and intangible a membrane that goods, people, values, news were continuously interpenetrating those. A continuous osmosis. I observed that certain actors, or agents – shomitees, saving groups, etc. – controlled how that osmosis occurred, how it impacted the community, and how the community could take advantage from it… My focus was on the men’s world. Indeed, women found their place and space in that world too: those who ran restaurants or tailor shops around boro math, those commuting from Karail to Gulshan/Banani on an everyday basis, those who, coming back from the factories, chatted within their group of peers… children, they knew their ways too – at least the boys. It was a world in which I liked to locate myself; of which I would have liked to be one part, amidst the thousand other factors and persons that boost Karail’s social process. Of course, this required that I’d keep in mind where I come from and which responsibilities, if at all, I should stick to.
After 2009, I settled again in a room of Karail in 2012 and 2013. I liked to spend time, if not in my small hut, in the courtyards; I chatted with the women and tried to follow their daily rhythms. I wondered what had changed: did I feel closer to mothers and children because I had grown older? Or was the simple reason that, since in the meantime a majority of clusters have been refurbished and assembled in bigger units, the courtyards offered more space to move?
Elisa T. Bertuzzo, Feldforschungsleitung
22.01.15 – Daily routines #2
Am Mittwoch beobachtete ich einen anderen interessanten Ort – das Noakar Ghat, eine der sieben Bootsanlegestellen Karails. Schnell wurden die Unterschiede zwischen Noakar Ghat und Beltala deutlich. Die Bootsanlegestelle im Süden Karails hat einen ganz anderen Charakter, im Mittelpunkt stehen hier die Boote, welche Karail mit der Mohakhali Road verbinden und ein wichtiges Transportmittel für Besucher aber vor allen Dingen für die Bewohner darstellen. Mehrere Boote (7-11) verkehrten gleichzeitig in der Zeit von 09.30 Uhr bis 13.00 Uhr zwischen Karail und Mohakhali. Nur werden hier keine schweren Lasten von und nach Karail gebracht sondern überwiegend Menschen, demnach hat der Ort eine Art Ankunfts-Abfahrtscharakter. Ohne die Bootsfahrer würde an diesem Ort nichts funktionieren. Einige von Ihnen schienen fleißiger, andere genossen die Ruhe nach der morgendlichen rush hour an den drei Teebuden, die sich am Ufer des Banani Lake befinden.
Auch ich ließ mich an einer der Teebuden nieder, um das Treiben zu beobachten. Was mir bei drei Tassen Zitronentee auffiel, war eine Art Regel zwischen den Bootsfahrern, welche allerdings wie jede Verkehrsregel in Dhaka gerne missachtet wird – von daher lässt es sich nach einer einmaligen Beobachtung schlecht sagen, ob es sich wirklich um eine Regel handelt. Vor den Teebuden sah man permanent Männergruppen, die sich wie in Beltala über mehrere Sachen auszutauschen schienen (adda). Zwei Verkäufer – scharfe Kartoffeln und Kichererbsen, Betelnuss – standen zwischen 10 und 11 Uhr vor den Teebuden, entschlossen sich dann aber ihre Standorte zu wechseln, wahrscheinlich weil sie nicht viel verkauft hatten.
Das Noakar Ghat ist im Gegensatz zu Beltala nicht so stark von Männern dominiert, auch fehlten hier die unzähligen spielenden Kinder. Ein Grund dafür könnte die Uhrzeit gewesen sein aber auch die Tatsache, dass dieser Raum weniger Platz zum spielen und herum toben bietet. So wirkte der Ort insgesamt ruhiger als Beltala – fast schon idyllisch, was mich sehr überraschte, da ich davon ausging, auch an diesem Ort viel Dynamik beobachten zu können. Gegen Mittag wurde der Raum zwar stärker frequentiert, verlor aber nicht seinen ruhigen Charakter, da die Menschen, die nun zusätzlich zum Noakar Ghat kamen, eher ein ruhiges Päuschen an den Teebuden suchten. Gegen 13 Uhr schloss ich mein Notizbuch.
Im Großen und Ganzen fand ich es super interessant, mir Räume über die Methode der Beobachtungen zu erschließen. Man beginnt auf Sachen – Gerüche, Geräusche, Regelmäßigkeiten, Menschen, Laufwege – zu achten, die einem sonst nicht auffallen würden. Zudem ergeben sich viele Fragen und Vermutungen, die es im Anschluss gilt zu überprüfen. Hinzu kommt, dass ich auf diese Art und Weise verstehen kann, warum ein Raum so gebaut ist, wie ich ihn vorfinde, dass diese gebaute Umwelt durchaus Resultat gesellschaftlichen Handels sein kann, und dass dieser gebaute Raum durchaus rückwirkend Einflüsse auf das gesellschaftliche Verhalten haben kann.
Marian Knop, ASA-Praktikant 2014/15
17.01.15 – Wo fängt hier eine Straße an?
Meine Erinnerung verschwimmt, wie und auf welchem Wege ich in einer Kleingruppe im September 2012 zum ersten Mal Karail betrat. Die Landung am Flughafen Dhaka war erst ein paar Stunden her, der fehlende Schlaf und der Zeitsprung von vier Stunden war noch nicht vollständig aufgeholt. Die Neugier jedoch, die Stadt Dhaka und Karail nicht nur aus Erzählungen und Texten zu kennen, sondern nun endlich selbst zu sehen und zu erleben, war größer.
Nach einer Bus- oder CNG-Fahrt über die Straßen Dhakas brachte uns eine Rikscha schließlich an einen Rand von Karail. Es erschloss sich mir schnell, dass man sich durch die engen und belebten Straßen und Wege der Halbinsel Karails zu Fuß am einfachsten bewegt. Das Zusammenspiel der Eindrücke – eine Kombination aus Farben, Geräuschen und Gerüchen – ließ ich auf mich wirken.
In der Uni hatte ich bestimmte Vorgehensweisen und Methoden gelernt, wie man Gebäude und Stadtquartiere bei ihrer ersten Begehung betrachten und erfassen kann. Hier in Karail würde es anders ablaufen. Wo fing eine Straße an? Wo hörte der Innenhof eines Wohnkomplexes auf? Räume in Karail werden auf vielfache Art und Weise genutzt; Erschließungsflächen sind gleichzeitig Aufenthaltsräume; ein Laden ist nicht nur ein Verkaufsraum, sondern dient dem Eigentümer auch als Wohnzimmer, seinen Freunden und Bekannten als Treffpunkt, und ab und dann, wenn es regnet, auch als Unterstand für viele Passanten.
Wir lernten auf späteren Begehungen in Karail Shahidul Kafil kennen; er stellte uns seiner Familie vor und erlaubte uns, seine Wohnräume zu vermessen. Wenn wir uns mit ihm wieder trafen, um zu plaudern und Tee oder Limonade zu trinken, lud er uns jedes Mal in seine kleine Apotheke ein, die sich an den Wohnräumen anschliesst und zu einer belebten Marktstraße öffnet. Von diesen etwas breiteren und lebendigen Geschäftsstraßen gibt es mehrere in Karail. Sie verlaufen fast parallel von Westen nach Osten (oder umgekehrt) und sind mit meist kleineren Wegen verbunden. Schaut man sich die Straßenverläufe in dieser Art, so könnte man auch versuchen, das Wege- und Straßensystem auf einer Karte zu kategorisieren. Dass diese Bezeichnungen aber nicht unbedingt der Orientierung vieler Bewohner entspricht, brachte mir Shahidul bei einem Workshop in Erinnerung. In seiner Karte zeichnete er nicht zuerst die vermeintlich prominenteren Geschäftsstraßen, sondern stellte die kleineren Verbindungsstraßen in den Vordergrund. Ich musste ihm recht geben: Auch ich, als wir am Ende des ersten Tages die Siedlung auf einem schmalen Holzboot über den Bananisee verließen, hatte Ereignisse und Erinnerungen mit meiner eigenen “inneren Karte” verknüpft – und sie hatte mit der “geografischen Karte” Karails nicht unbedingt viel zu tun!
Louisa Scherer, ASA-Praktikantin 2012
14.01.15 – Daily routines #1
Die Beobachtung der daily routines in Karail war für mich eine neue und sehr hilfreiche Erfahrung, da sie mir zum einem half, den Ort Karail an den von mir ausgewählten Stellen besser zu verstehen und zum anderen, weil ich diese Methode zuvor noch nie angewandt hatte. Bei daily routineshandelt es sich um Prozesse innerhalb des Raumes, die auf die physische Beschaffenheit des Raumes schließen lassen und gleichzeitig ein interessantes Abbild seiner sozialen Struktur geben können.
Für die Beobachtungen dieser Routinen wählte ich zunächst den großen Weg in Beltala, einen Ort, den ich auf Grund seiner schnellen physischen und funktionalen Transformation für interessant erachte. Am ersten Tag startete ich meine Beobachtungen gegen halb vier nachmittags. Schnell wurde mir klar, dass es schwer werden würde die Prozesse in diesem Raum zu beobachten, da meine Anwesenheit viele Menschen, vor allen Dingen Kinder anzog, die wissen wollten, woher ich käme, wie ich heiße oder was genau ich dort mache bzw. in mein Notizbuch schreibe. Allerdings machte es mir meine Sprachbarriere so ziemlich unmöglich zu erklären, dass ich als Teil eines Forschungsprojektes Beltala beobachte. Zudem empfand ich es als unangenehm die neugierigen Menschen die ganze Zeit zu ignorieren – schließlich nahm ich also Augenkontakt auf und versuchte auf ihre Fragen, sofern ich diese verstand, zu antworten. Von daher fiel es mir schwer mich auf die Routinen zu konzentrieren, auch weil ich einige male mehrere 10 Menschen vor mir hatte, die mir den Blick auf den Raum versperrten; zwischen halb vier und fünf Uhr hörte ich also damit auf.
Dennoch konnte ich von meinem Standpunkt aus, einer kleinen Holzbank neben einer Schreinerei, viele interessante Dinge beobachten. In meiner unmittelbaren Nähre befanden sich weitere Schreinereien und Holzlagerräume, Wohnhäuser, zwei Schneider, eine Teebude, ein Barbier sowie CNG, Pick-Up und Rikshawgaragen. Innerhalb der Geschäfte gingen die Männer ihren Aufgaben nicht mehr komplett nach: Stattdessen versammelten sie sich zu kleineren 2-3er-Gruppen, um neben laufenden Fernsehern über dies und jenes zu reden. Die eingestellten Arbeiten und Männerrunden vermittelten eine angenehme Feierabendstimmung. Der Raum wurde zu dieser Zeit generell von Männern oder männlichen Jugendlichen dominiert, die entweder in kleineren Gruppen unterwegs waren oder irgendwelche Sachen transportierten. Frauen waren mit Einkäufen und kleinen Kindern am bzw. auf dem Arm unterwegs, meist auf dem Weg von A nach B, auf dem sie Beltala durchquerten. Ich konnte viele spielende Kinder beobachten. Schulkinder kamen nur wenige zurück. Zudem verließen auch einige Jungsgruppen mit Cricketschlägern oder Fußbällen das Viertel, um auf einem nicht weit entfernten Platz zu spielen. Auffällig waren die vielen Rikshaws und Transportfahrräder, die an mir vorbeifuhren. Durch ungefähre Zählungen konnte ich feststellen, dass ein Großteil der Rikshawfahrer Karail über Beltala verließen, um sich auf der Suche nach Fahrgästen in die Rush Hour Dhakas zu stürzen. Des Weiteren kamen viele Transportfahrräder von außerhalb über Beltala nach Karail, um verschiedene Sachen wie Lebensmittel und Konstruktionsmaterialien nach Beltala oder Karail zu bringen. Zudem kamen Pick-Ups und CNGs zu annähernd gleichen Teilen die Straße entlang. Diese Beobachtungen ließen darauf schließen, dass es sich bei Beltala um einen Transitraum handelt und von daher Beziehungen zwischen Karail, Beltala und dem Außenraum, also den umliegenden Vierteln oder Stadtteilen Dhakas, bestehen.
Am zweiten Tag meiner Beobachtungen wurden diese Beziehungen noch viel deutlicher. Nun begab ich mich vormittags gegen 10h nach Beltala und setzte mich wieder auf die selbe kleine Holzbank, diesmal zusammen mit Tamanna, unserer Übersetzerin. Sie sollte mir helfen zu erklären, was ich dort mache – aber sie hatte offensichtlich auch Spaß an den Beobachtungen, die sie die ganze Zeit mit mir interessiert teilte. So konnten wir bei Transportfahrrädern zwischen unbeladenen und beladenen Fahrrädern unterscheiden: Die beladenen Fahrräder kamen von außen nach Karail, die unbeladenen verließen Karail um in der Stadt Sachen einzukaufen. Der Raum war vormittags leerer als nachmittags, dennoch schien er auch zu dieser Zeit sehr belebt. Zum einen sahen wir weniger spielende Kinder – wir nahmen an, dass viele in der Schule oder im Kindergarten seien. Zum andern durchquerten jedoch mehr Leute mit Einkäufen oder Besorgungen Beltala. Viele von ihnen waren von außerhalb – also keine Bewohner Karails oder Beltalas, womit die starke Beziehung zwischen Karail und Außenräumen wieder einmal deutlich zutage trat.
Diese Außenraumbeziehung wurde auch bei der Beobachtung der Schulkinder deutlich. Viele Kinder verließen vormittags Karail über Beltala, auf dem Weg zu einer Schule außerhalb der Siedlung. Jedoch kamen auch viele Kinder nach Karail, weil sie auf eine Schule in Karail gehen. Karail stellt demnach nicht nur Güter sondern auch soziale Leistungen für Menschen bzw. Kinder von außerhalb zur Verfügung. Der Raum schien mir am Vormittag beschäftigter zu sein als nachmittags, da in den Läden nun gearbeitet und nicht wie am Tag zuvor gequatscht wurde; auch lief keine Musik bzw. kein Fernseher. Gegen Mittag kamen weniger Transportfahrräder vorbei, jedoch wurde der Raum voller, weil die Kinder aus der Schule zurückkehrten und innerhalb von Minuten wieder auf der Straße waren, um zu spielen. Gegen halb eins entschlossen wir, unsere Beobachtungen zu beenden. Ich hatte einen guten Eindruck des Raumes zu verschiedenen Tageszeiten bekommen und fing an, Gefallen an der Methode zu finden.
Marian Knop, ASA-Praktikant 2014/15
6.01.15 – Die Kinder Karails
„Hiii, how are you!?“ …ist wahrscheinlich die Frage, die ich während der letzten acht Wochen Feldforschung in Karail Basti am meisten gehört habe, meistens von den vielen lachenden und spielenden Kindern auf der Straße. Pro Tag bestimmt so um die 10 oder 20 mal… keine Ahnung, jedenfalls sehr oft. Man könnte meinen, dass sich automatisch eine Art Filter im Kopf einbaut, der es schafft, diese Frage zu ignorieren, um sich auf das Wesentliche – die Feldforschung – zu konzentrieren. Dem ist aber nicht so. Die Kinder sind von allen Anderen am wenigsten vorurteilsbehaftet, klar werden sie auf Grund meiner äußeren Erscheinung, die sich in Hautfarbe, Körpergröße, Kleidung deutlich von den Bewohnern Karails unterscheidet, neugierig, aber das war’s dann glaub ich auch schon. Von daher gehe ich immer noch gerne auf die Kinder ein und antworte mit „fine, thank you“ oder „khub bhalo“ (Bangla: sehr gut), oder schenke Ihnen zumindest ein Lächeln.
Wenn es um die Frage geht, wie die Zukunft Karails aussieht, oder wie Planung für ein so riesiges und heterogenes Viertel wie Karail konzipiert werden könnte, spielen die Kinder eine entscheidende Rolle. Schließlich bilden sie die nächste Generation, die sich eventuell stark mit Karail identifizieren und sich für das Viertel engagieren wird. Vielleicht entwickelt sich eine Identität und daraus resultierend gar eine Art Verantwortungsbewusstsein, das der Siedlung auf jeden Fall sehr nützlich wäre. Wie auch immer, zuerst einmal werden die Kids erwachsen werden. Und dabei spielen Bildungs- und Erziehungseinrichtung eine wichtige Rolle. In Karail gibt es eine Vielzahl von Schulen und Kindergärten, entweder privat organisiert oder, wie in den meisten Fällen, von NGOs unterstützt. Wir haben bis jetzt um die vierzig ausfindig machen können, aber es soll wohl weit mehr als hundert geben… Jedenfalls ist Bildung mindestens genauso wichtig und notwendig, wie die Installation von technischen Infrastrukturen.
Im Falle von Planung, wie auch immer sie in einem Viertel wie Karail aussehen mag, sollte dem Faktor Bildung eine große Bedeutung zukommen. Ich würde mir eine stärkere, quantitativ und vor allen Dingen qualitativ hochwertigere Unterstützung der Schulen und Kindergärten wünschen – von öffentlicher Seite, von NGO Seite, oder seitens der Entwicklungszusammenarbeit, damit die Kids in Zukunft nicht nur „how are you!?“ sondern auch andere Fragen auf Englisch stellen können.
Marian Knop, ASA-Praktikant 2014/15
6.01.15 – A basti is not just about piled huts
In the 1960s, the government of Bangladesh acquired around 90 hectares of land for telecommunication-connected infrastructure development. With the advent of residential development, the area, mainly used for seasonal cropping, was flooded both by urban and construction waste and everlasting rainwater. The government failed to initiate the planned infrastructural development, that is why the Ministry of Telephone and Telecommunication (T&T) renounced the land to the Ministry of Housing and Public Works and to the Ministry of Science and Information & Communication Technology. During that time, the city was not as crowded and land was not such a crucial issue as it is today. For this reason, the land wasn’t considered for commercial uses. This was a vital prerequisite for the development of the big settlement.
By now, the area has become a prime location for the settlement of the low-income population of Dhaka and people call it “karail basti”, i.e. “Karail Colony”. It is located within ward 19 of Dhaka City Corporation (BBS, 2007) and surrounded by the Banani Lake on three sides as well as by residential areas, private universities, government quarters and diplomatic offices. Many inhabitants of Karail Basti are employed in the Gulshan area as housemaids, drivers, rickshaw pullers, sellers, gatekeeper, and night guards etc., many also work in garment factories.
In my perception, if you want to reflect on Karail Basti, you should not only consider it in its physical form, but consider it in a social and political sense. First of all, the inhabitants, while making and contributing to the whole community, stick to their local origin: it is often seen that people from particular districts live in the same area and build networks within each other. This is how areas like “Barishal Colony”, “Kumila Potti” etc. have got their names. Nevertheless, I think because of the high density and because generations of families have already lived there, the social relationships between different groups are very tight. This is where the sense of community comes from: Karail Basti has become an encompassing identity factor.
Furthermore, Karail Basti as a place is a political issue. Since the inhabitants always fear eviction because the land is a government property, the local leaders – as well as informal, self-nominated leaders – maintain political connections to help and protect the residents from eviction. We observed also a kind of internal “groupism”, as the inhabitants support different political groups. Many residents reported that they preserve and maintain political connections through the local leaders, who should convince the ruling party not to destroy the settlement. The inhabitants also believe that the government may decide not to destroy the basti because it is the home of a large number of voters. This is the strength of the inhabitants who vote in this ward.
Farhana Kaniz Sharna, Feldforscherin
3.01.15 – No “creative destruction”, but construction
I explore in Karail. It’s really a cream-place, this mini-island within Gulshan, Banani and Mohakhali. I haven’t ever seen such a slum before, truly organised by the inhabitants themselves. Everywhere in Karail, whether at the boat stations or at the market (bazaar) or in various livelihood activities, they have found a systematic way of doing things.
During my first visit, Elisa first showed me the many entrances to Karail. I was really curious and tried to figure out the ways inside Karail, the main Karail. The roads’ net at first was really puzzling to me, but now I can say it’s very easy. They have medical centers, pharmacies, a big bazaar which many people from inside and outside the settlement visit for daily shopping. This basti has organised itself via its own CBOs (Community Based Organization) and now is provided (legal) water by Dhaka WASA (DWASA), which was very surprisingly to me. The inhabitants don’t have any legal rights nor documents to live here, but they are getting water from government. Right now, we are studying how this water is distributed and used, which differs from zone to zone.
Nowadays, it’s difficult to find one-storied buildings here: more or less every house is two-storied. I was stunned by one big three-storied mosque with tiles in all floors. Many men work as rickshaw pullers and women often have a job as housemaid. But there is also a constant in- and out-migration, as many people come from their village, shift a few times inside Karail while working for different employers in Dhaka, again go back to the village and again come back for living and work.
Though urban dwellers, Karail inhabitants don’t have the right of living, housing etc. in this urban area as yet. They fear eviction, but at the same time – especially since they got access to a government service, such as DWASA water – they hope that perhaps, they may get the right to stay.
Tamanna Siddiqui, Forschungsteam 2014/15
2.01.15 – Wie sollte eine Karte aussehen?
Das Boot näherte sich dem Anleger, der sich aus der Front von Wellblechhäusern entlang der Uferlinie herauslöste. Gleich sollte ich zum ersten Mal Karail Basti betreten. Ab jetzt würde ich mich mit der Siedlung nicht mehr nur durch Lektüren und Luftbilder auseinandersetzen – ich sollte sie erleben, geleitet durch die Frage „Wie ist das alles in echt?“. In den kommenden Tagen und Wochen fing ich an, Karail Basti räumlich zu begreifen. Es gibt Abgrenzungen und Unterteilungen, verschiedene „Viertel“ und funktionale Schwerpunkte. Stück für Stück kann eine auf den ersten Blick unüberwindbare Komplexität aufgeschlüsselt, zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. Im besten Falle sogar soweit, dass einzelne Dinge und Zusammenhänge verstanden werden.
Ich glaube, den zu Beginn gefühlten Status eines Aliens verlor ich mit der aufkommenden Routine. Zumindest kam ich mir sicherer vor, kannte die Wege und das Team hatte sich immer besser eingespielt. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass wir mit unseren Erscheinungen, Messungen und Untersuchungen ständig den Alltag, den wir ja eigentlich verstehen und darstellen wollten, gleichzeitig auch veränderten, wenn nicht störten. Immerhin wuchs die physische Karte, durch zahlreiche Informationen angereichert. Mit der Zeit stellten wir aber auch fest, dass es unter den Bewohnern von Karail ein anderes Verständnis einer “Karte des Stadtteils” gab. „Diese Karte bringt uns nichts“ sagte uns einer von ihnen während eines Workshops, „ich muss nicht wissen, wie genau die Wasserlinie verläuft, ich will wissen wo ich wann abbiegen muss, um zu einem bestimmten Haus zu kommen. Also muss die Karte so aussehen!“ – dabei zeichnete er ein rechtwinkliges Netz mit rechtwinklig zueinander liegenden Häusern. Das Komplexe hat nicht nur eine Ebene, sondern erhält auch im Medium Karte ganz unterschiedliche Bedeutungen und Ergebnisse.
Ich habe drei Jahre Stadtplanung studiert. Ich frage mich, was ich bisher gelernt habe, auf welchem Maßstab meine Werkzeuge und erlangtes Wissen welche Relevanz haben. Stadt gestalten, Stadt verstehen, den Kontext begreifen – ist das nicht eine sehr anmaßende Aufgabe? Unter den gängigen Methoden, wie mit Stadt umgegangen werden kann, taucht das ominöse Wort “Informalität” auf. Es birgt viele Definitionen, je nachdem, wer dieses Wort benutzt und mit welchem Ziel. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die als „informell“ beschriebenen Situationen selbst jeweils kennenlernen, erforschen, erleben muss, um das Wort zu benutzen, bewerten und bezweifeln zu können.
Paul Klever, ASA-Praktikant 2012